Für die Arbeit in der Landwirtschaft, in einer Textilfabrik und als Dienstmädchen wurden Frauen und Mädchen im 19. Jahrhundert im Ruhrgebiet gebraucht. Dafür zogen sie aus den Dörfern in die Städte – ein Schritt in eine andere Welt. Diese unterschied sich in sozialen, kulturellen und religiösen Verhältnissen von dem, was die Frauen zuhause gewohnt waren.
Das schnelle Wachstum der Städte im Ruhrgebiet war nicht zuletzt auf eine starke Nachfrage nach Arbeitnehmer*innen in den aufstrebenden Produktions- und Handelssektoren zurückzuführen. Für die Montanindustrie wurden sogenannten „Ruhrpolen“ angeworben. Die polnisch sprechenden, zumeist ledigen männlichen Zuwanderer aus den ostpreußischen Provinzen, holten erst nach und nach ihre Verlobten oder Ehefrauen nach Deutschland. Die Frauen fanden Arbeit im neu entstehenden Gewerbe, in der Landwirtschaft und bei Anbietern von Dienstleistungen.
Das Anwerben von Arbeitskräften aus preußischen Provinzen oder aus nahe oder ferner gelegenen ländlichen Gebieten führte zu einer bis dahin unbekannten räumlichen und sozialen Mobilität. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten entwickelten sich auf diese Weise ursprünglich kleine Städte oder Gemeinden zu Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen. Industrialisierung, Arbeitsmigration, Urbanisierung und wachsende Bevölkerungszahlen standen dabei in einem engen Zusammenhang.
Während der Industrialisierung hatten sich in den neu entstandenen Betrieben spezifische Männer- und Frauenarbeitsplätze herausgebildet. In der Montanindustrie des Ruhrgebiets waren dies fast ausschließlich Erwerbsarbeitsplätze für Männer, da seit 1849 die Frauenarbeit im Bergbau gesetzlich verboten war. Demgegenüber bot die vor allem in Ost-Westfalen und im Münsterland angesiedelte Textilindustrie vielen Frauen einen Arbeitsplatz.
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein spielte jedoch vor allem die Landwirtschaft als Arbeitgeberin für Frauen eine zentrale Rolle. Noch in den 1920er Jahren waren hier – neben der großen Zahl unentgeltlich arbeitender sogenannter „mithelfender Familienangehöriger“ – fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen als Mägde beschäftigt. Daneben gab es noch Heuerlinge, Familien, die einen kleinen Kotten und ein paar Morgen Land zumeist nur zur Selbstversorgung gepachtet hatten.
Während die Ehemänner und älteren Söhne dieser Familien einem Nebenerwerb nachgingen, mussten die Ehefrauen und Mädchen auf dem jeweiligen Gutshof anstelle der Pacht Hilfsarbeiten leisten. Hinzu kamen insbesondere im Sommer während der Ernte Saisonarbeitskräfte: Männer wie Frauen, die als Binnenwander*innen ähnlich den Bergwerksbeschäftigten, meist aus den preußischen Ostprovinzen kamen.
Außerhalb von Fabriken, Heimarbeitsstellen oder der Landwirtschaft hatten Frauen und Mädchen aus nicht bürgerlichen Familien oftmals nur die Möglichkeit „in Stellung“ zu gehen, d.h. als Hausangestellte (Dienstbotin, Kindermädchen, Köchin oder „Mädchen-für alles“) erwerbstätig zu werden. Die Vermittlung von Mädchen und jungen Frauen als Dienstbotinnen in einen Haushalt erfolgte dabei meist über Bekannte. Wenn Kontakte in die Stadt fehlten, wandte man sich an Vermittlungsagenturen, die extra für diese Tätigkeit bezahlt werden mussten. Viele Eltern hofften, dass ihre Töchter so die Hauswirtschaft lernen, also Fertigkeiten, die ihnen als spätere Haus- und Ehefrau nützen würden. Doch oft ging es nur um die Bewältigung des reinen Arbeitspensums. Ausbildung und Einarbeitung blieben auf der Strecke. Der Lohn bestand oft aus wenig mehr als Kost und Logis, Freizeit gab es kaum.
Nicht überall trafen es die Frauen gut an: Schläge, ausstehender Lohn und unwürdige Unterbringung machten ihnen das Leben zur Hölle. Unter anderem kirchliche Organisationen sahen die Not der Frauen. So richtete der 1899 von Agnes Neuhaus in Dortmund gegründete „Verein vom Guten Hirten“, der spätere „Katholische Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder“ und heutige „Sozialdienst katholischer Frauen“ (SkF), in seinen sogenannten „Mädchenschutzstellen“ oder „Bahnhofsmissionen“ Stellenvermittlungen für die meist aus ländlichen Regionen zugewanderten jungen Frauen ein. Durch zusätzliche Hilfsangebote wie Suppenküchen oder Ledigenheime versuchten sie die meist erst vierzehnjährigen Mädchen zu unterstützen, wenn es darum ging, ihnen eine Alternative zu unseriösen Arbeitsvermittlern anzubieten. Deren Angebote endeten nicht selten in Ausbeutung und/oder Prostitution.
Dr. Julia Paulus
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte
Das Projekt “Wie wollen wir leben in…?” wird
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